Drei Alumni des KIT unter den zehn besten „Innovatoren unter 35“
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Autor:
Sarah Werner
Anja Frisch
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Quelle:
Presse-Service
- Datum: 22.08.2019
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Am Anfang einer erfolgreichen Innovation steht eine gute Idee – die viel bewegen kann, gerade wenn sie gesellschaftliche Trends und Herausforderungen anspricht. Die zehn besten Innovatoren und ihre Ideen für die Zukunft hat das Magazin „Technology Review“ in seinem Wettbewerb „Innovatoren unter 35“ gekürt – darunter auch drei Alumni des KIT, die sich mit ihren Ideen selbstständig gemacht haben. Tim Böltken hat am Institut für Mikroverfahrenstechnik des KIT mit seinen Kollegen einen chemischen Reaktor entwickelt, der klimaschädliche Abgase im kompakten Maßstab zu synthetischen Stoffen umwandelt, die beispielsweise zu Sprit, Kerosin oder Erdgas weiterverarbeitet werden können. Die Kompaktanlagen, in denen der chemische Reaktor eingebaut ist, sind modular aufgebaut und können beliebig erweitert werden – je nach Bedarf. 2016 hat sich Böltken mit seinen Partnern Paolo Piermartini und Philipp Engelkamp INERATEC gegründet. Das Start-up ist inzwischen auf fast 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsen und liefert seine Anlagen unter anderem an Chemieparkbetreiber und Energieversorger. Ab 2021 will INERATEC die Module in Serie produzieren. Zu OP-Robotern promovierte Andreas Bihlmaier am KIT, 2016 gründete er mit seinen Institutskollegen Jens Liedke und Julien Mintenbeck die Firma robodev. Die Ausgründung hat einen modularen Baukasten aus Hard- und Software entwickelt, mit dem Unternehmen schnell und günstig automatisierte Systeme nach Bedarf maßschneidern können. Auf einem Tablet können die Anwender Komponenten auswählen und über eine Software zu einem funktionierenden System verbinden. Zu den Modulen gehören etwa Greifer, Kameras sowie Antriebe. Das robodev-System braucht dabei weder Internetverbindung noch Künstliche Intelligenz oder Augmented Reality. Zu den ersten Abnehmern gehörten der Antriebshersteller SEW Eurodrive und Daimler. Sebastian Zanker hat am Institut für Festkörperphysik des KIT im Quantencomputing promoviert. Zusammen mit seiner damaligen Forschungsgruppe um Teamleiter Michael Marthaler, Iris Schwenk und Jan Reiner gründete er 2017 HQS. Das Unternehmen entwickelt Ideen, um Quantencomputer für den Einsatz in der Medizin- oder Energieforschung markttauglich zu machen. Denn die Hochleistungsrechner eignen sich durch ihre große Leistung besonders, um chemische und physikalische Eigenschaften etwa von Medikamenten, Kraftstoffen oder Energiespeichern vorherzusagen und digital zu verbessern. Hierfür passt das Unternehmen Simulationsverfahren, die heute bereits auf klassischen Rechnern laufen, aber zu rechenintensiv sind, um praktisch anwendbar zu sein, so an, dass sie auf Quantencomputern größere Moleküle oder gar Festkörper abbilden können. Dabei arbeitet HQS mit Merck, Bosch und BASF zusammen. Die Zeitschrift Technology Review kürz jedes Jahr die zehn besten „Innovatoren unter 35“, die mit ihren Ideen Herausragendes in ihren Fachgebieten geleistet haben. Sie sind zudem automatisch für den globalen Wettbewerb „Innovators under 35“ nominiert. (swe)
Klimawandel: Bäume und Stadtklima
Bäume tragen wesentlich zur Verbesserung des Stadtklimas bei, leiden jedoch selbst unter Hitze und Trockenheit. „Städte müssen die Grünflächen erhalten oder sogar vergrößern, um die Hitzebelastung zu verringern“, sagt der Forstwissenschaftler Somidh Saha, der sich am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT mit der Bedeutung städtischer Grünflächen befasst und erforscht, wie sich die Widerstandsfähigkeit von Wäldern verbessern lässt. Durch ihre Schatten und die Verdunstung verbessern Bäume das Mikroklima und können die Erwärmung von Asphalt und Beton reduzieren. Das artspezifische Potenzial verschiedener Baumarten zur Kühlung der städtischen Umwelt sei für viele Arten noch unzureichend erforscht, so der Wissenschaftler. „Das Schließen dieser Wissenslücke ist für die Optimierung der Erhaltung, Pflege und Planung städtischer Bäume entscheidend.“ Wie stark Bäume ihre städtische Umwelt kühlen können, hängt mit der Transpirationsrate ihrer Blattfläche zusammen. Während der Transpiration öffnen Bäume Poren an den Blättern und setzen Wasser frei. Die Größe dieser Stomata genannten Öffnungen und die Dauer des Öffnens oder Schließens variieren stark zwischen den Baumarten. Gibt ein Baum während einer Dürre weiterhin Wasser ab, kann seine Krone absterben oder sogar der ganze Baum. „Städtische Grünplanung sollte deshalb einen Kompromiss zwischen der Kühlkapazität einer Art und ihrer Resilienz gegen Trockenheit berücksichtigen“, empfiehlt Saha. Resilienz bedeutet die Fähigkeit, trotz äußerer Einwirkungen wie dem Klimawandel weiter zu bestehen und wichtige Funktionen aufrechtzuerhalten. Das Verständnis solcher ökophysiologischer Vorgänge beziehe sich bislang hauptsächlich auf den natürlichen Lebensraum von Bäumen in Wäldern. „In Zukunft müssen wir diese Prozesse jedoch im Detail an Bäumen untersuchen, die in gebauter Umgebung wachsen“, so Saha, der eine Nachwuchsforschungsgruppe leitet, die das Dilemma zwischen der Erhöhung der Resilienz und der Aufrechterhaltung der Nachhaltigkeit unter dem Einfluss des Klimawandels in sozial-ökologischen Systemen in einer vergleichenden Studie zwischen natürlichen und gebauten Ökosystemen bewertet. Eine Herausforderung der städtischen Forstwirtschaft sieht der Experte im fehlenden Platz für Wurzeln, da viele unterirdische Flächen für Infrastruktur gebraucht werden. „Wenn wir den Bäumen einen ausreichenden Wurzelraum bieten, haben wir einen höheren Wasserspeicher im Boden und benötigen weniger Bewässerung“, so der Forstwissenschaftler. Deutschland werde in Zukunft durch zunehmende Dürre anfälliger für Trinkwassermangel werden: „Um den Wasserverbrauch zu reduzieren, sollten wir die Bewässerung von städtischen Bäumen und Wäldern optimieren.“ Das derzeitige massive Absterben von Bäumen und Wäldern sei die größte Bedrohung für unseren Wald seit den sauren Regenfällen in den 1970er und 1980er Jahren, sagt Saha. „Die Situation ist düster. Der Prozess des Absterbens ist komplex, aber in den meisten Fällen wirken Dürre und Hitzewellen als auslösende Faktoren.“ Um die Resilienz der Wälder zu erhöhen, gelte es kurz- und langfristige Anpassungsstrategien zu entwickeln. „Innerhalb von fünf bis zehn Jahren sollten wir durch geeignete ökophysiologische Forschung resiliente Baumarten auswählen und den Wachstumsraum zwischen Bäumen durch ein geeignetes Dichtemanagement optimieren sowie die Pflege noch gesunder Bäume intensivieren und die Öffentlichkeit sensibilisieren.“. Die Aufgaben für die nächsten 30 bis 40 Jahre sieht Saha unter anderem darin, durch Umwandlung der Monokultur in Mischwälder und größere biologische Vielfalt die Stabilität des Ökosystems zu erhöhen. „Eine Baumart kann sich in ein oder zwei Generationen nicht an den Stress des Klimawandels anpassen. Da Bäume langlebige Organismen sind, wird es Hunderte von Jahren dauern, bis sie sich an neue Bedingungen angepasst haben. Baumarten, die sich in diesem langfristigen Prozess nicht anpassen, werden nach und nach aussterben“, erklärt der Wissenschaftler. Es könnten sich aber auch Eigenschaften – zum Beispiel Trockenheitsverträglichkeit – entwickeln, die in früheren Generationen einer Art nicht ausgeprägt waren. „Eine Art mit höherer genetischer Vielfalt hat also eine bessere Chance, die Auswirkungen des Klimawandels zu überstehen“, sagt Saha. So haben Rotbuchen, die auf trockenen, felsigen Kalksteinflächen wachsen, eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als jene Rotbuchen, die in feuchten Tälern mit tiefem Boden wachsen. „Daher müssen wir für unsere zukünftigen Pflanzaktivitäten Samen von trockeneren Standorten beziehen“. Weitere langfristige Maßnahmen sieht der Experte darin, das Anpflanzen dürreverträglicherer exotischer Arten – zum Beispiel aus Mittelmeerregionen – zu erproben und neue, dürretolerantere einheimische Arten zu züchten. Wichtig sei es auch, die Forstpolitik im Sinne nachhaltiger und multifunktionaler Bewirtschaftung zu reformieren und alle Interessengruppen einzubeziehen. „Bäume sterben langsam, wenn auf ein Dürrejahr ein Jahr mit Niederschlägen folgt, können sie sich erholen. Aktuelle Klimamodelle sagen jedoch einen Anstieg der Häufigkeit und des Ausmaßes schwerer Hitzewellen und Dürren voraus, daher werden wir auch weiterhin ein Absterben und vermehrt Krankheiten an Bäumen erleben“, so Saha. „Durch den anthropogenen Klimawandel verursachte Waldschäden könnten zu einem raschen Zusammenbruch der Ökosysteme führen, gefolgt vom Massensterben der Arten in relativ kurzer Zeit. Aus diesem Grund müssen wir jetzt handeln, damit wir nicht an den Punkt kommen, an dem es keine Umkehr gibt.“ Der Verlust von Wäldern habe, zum Beispiel im Himalaya oder in der Sahelzone, auch zunehmende Armut und politische Instabilität zur Folge. (afr)