Neutrinos - Prof. Guido Drexlin
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Mit der empfindlichsten Waage der Welt forscht der Astroteilchenphysiker in internationaler Zusammenarbeit daran, die Masse des Neutrinos, eines extrem leichten, elektrisch neutralen und schwach wechselwirkenden Elementarteilchens, mit bisher unerreichter Genauigkeit zu bestimmen.
Hochpräzise Waage für „kosmische Architekten“
„Neutrinos haben möglicherweise kurz nach dem Urknall durch ihre Eigenschaften dafür gesorgt, dass es eine kleine Präferenz für normale Materie gibt“, sagt Guido Drexlin, Sprecher des Instituts für Experimentelle Teilchenphysik (ETP) am KIT. „Wäre gleich viel Materie wie Antimaterie entstanden, hätten diese sich gegenseitig zerstört und unser Universum wäre nur mit Strahlung erfüllt.“ Neutrinos spielen auch als „kosmische Architekten“ eine wichtige Rolle bei der späteren Gestaltung der sichtbaren Strukturen des Kosmos wie der Bildung der Galaxien. Erst seit zwei Jahrzehnten ist bekannt, dass Neutrinos eine endliche von Null verschiedene Masse besitzen und nicht, wie die Photonen, masselos sind. Noch aber ist der genaue Wert der Neutrinomasse unbekannt. Das Großexperiment KATRIN hat sich die Aufgabe gestellt, dieses Rätsel zu lösen, wodurch viele Fragen der Kosmologie beantwortet würden. Eine Bestimmung dieses wichtigen Parameters wäre auch sehr wichtig zur Klärung der Physik jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik.
KATRIN ist Teil des KIT-Zentrums Elementarteilchen und Astroteilchenphysik (KCETA) und im Helmholtz-Programm Materie und Universum verankert. 150 Forschende aus 20 Institutionen in sieben Ländern sind an der KATRIN-Kollaboration beteiligt, die Hälfte von ihnen sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des KIT. Die hochkomplexe Anlage auf dem Campus Nord des KIT hat zum Ziel, die Genauigkeit des Messergebnisses für die Neutrinomasse gegenüber Vorgängerexperimenten um den Faktor 100 zu verbessern. Durch erste Ergebnisse des KATRIN-Experiments aus dem Jahr 2019 lässt sich die absolute Massenskala der Neutrinos auf einen Wert von weniger als ein Elektronenvolt mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent begrenzen. Damit ist die Neutrinomasse 50 0000-mal kleiner als die des Elektrons.
Mehr als 15 Jahre hat der Aufbau der präzisesten Waage der Welt bis zum Beginn des Messbetriebs 2018 gedauert. „Die technischen Herausforderungen waren gigantisch, jetzt beginnen wir die wissenschaftliche Ernte einzufahren“, betont der Wissenschaftler. Die Komponenten der hochkomplexen, 70 Meter langen Anlage umfassen eine hochintensive Tritiumquelle sowie den mit 1 200 Kubikmetern Volumen größten Ultrahochvakuumtank der Welt: das 24 Meter lange Hauptspektrometer mit einem Durchmesser von zehn Metern. Im Spektrometertank wird eine zeitlich variable Hochspannung von 18 600 Volt auf einem extrem präzisen Wert gehalten, wodurch die Energie der beim Zerfall von Tritium entstehenden Elektronen und daraus die Masse der Neutrinos abgeleitet wird. „Dieses faszinierende Weltexperiment ist nur durch die gute und vertrauensvolle internationale Zusammenarbeit möglich“, sagt Drexlin. Der für die Aufbau- und Betriebsphase des KATRIN-Experiments maßgeblich verantwortliche Physiker, der sich seit nahezu vier Jahrzehnten mit Neutrinoforschung beschäftigt, erwartet, dass KATRIN langfristig auch die Grundlage bildet, um mit immer empfindlicheren Untersuchungen und verfeinerter Messtechnik immer weiter zurück in die Entstehungszeit des Universums Richtung Urknall zurückblicken zu können. (or)
Expertenmails mit Prof. Guido Drexlin:
- Guido Drexlin zum Nobelpreis für Physik / Neutrinos (06.10.2015)
Der Presseservice des KIT stellt gerne den Kontakt zwischen den Medien und Prof. Guido Drexlin her.
Fotonachweise:
Foto KATRIN: Markus Breig, KIT
Porträt Prof. Guido Drexlin, IAP, KIT: Amadeus Bramsiepe, KIT