Der Klimawandel ist Fakt – aber nicht jedes Extremereignis ist ein Symptom dafür.
Ob Hurrikans in der Karibik oder Überschwemmungen in Deutschland: Bei extremen Wetterereignissen geht es schnell um die Frage, ob sie Folge des Klimawandels sind. Gibt es einen Zusammenhang – und werden die Extremereignisse häufiger?
Professor Harald Kunstmann: Dass die Temperatur steigt, ist unstrittig. Auch, dass sich die aktuelle Temperaturentwicklung nur mit den zusätzlich vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen, vor allem CO2 und Methan, erklären lässt. Der Klimawandel ist für uns Klimawissenschaftler Fakt. Zu sagen, dass damit auch extreme Wetterereignisse häufiger werden, bleibt aber schwierig. Auf Grundlage der reinen Beobachtungsdaten können wir beispielsweise für Deutschland nicht bestätigen, dass Starkniederschläge signifikant zunehmen – einen klaren statistischen Nachweis haben wir hier bislang nicht. Schaut man sich aber die Computermodelle an, welche die Entwicklung bis Ende dieses Jahrhunderts – unter Berücksichtigung des Treibhausgasausstoßes – vorausberechnen, dann sehen wir eine deutliche Zunahme bis zum Ende des Jahrhunderts.
Haben die Computermodelle denn Recht?
Kunstmann: Die grundlegenden physikalischen Prozesse sprechen dafür: Steigt die Temperatur, ist schlicht mehr Energie im System – höhere Lufttemperatur heißt, die Luft kann mehr Wasserdampf fassen, und je mehr Wasserdampf in der Atmosphäre ist, desto mehr Energie kann beim Kondensieren wieder frei werden – damit steigen die Möglichkeiten für extreme Wetterereignisse. Beispiel Hurrikans: Sie entstehen erst bei mehr 26,5 Grad Celsius Wassertemperatur. Liegt also die Temperatur häufiger darüber, nimmt die Möglichkeit und das Potenzial für Wirbelstürme zu. Aber: Nicht jedes extreme Ereignis ist automatisch ein Symptom des Klimawandels. Außerdem geht es bei der Klimaänderung insgesamt auch nicht nur um die Extreme, sondern ebenso um die Veränderung der Mittelwerte und der Variabilitäten.
Prominentes Beispiel für einen solchen Mittelwert ist das im Pariser Abkommen formulierte Zwei-Grad-Ziel: Stärker soll die globale Durchschnittstemperatur im Vergleich zur der Zeit vor der industriellen Revolution nicht ansteigen. Angestrebt werden sogar 1,5 Grad. Welche Folgen hätte denn ein Anstieg um ein oder zwei Grad?
Kunstmann: Ein Grad, das klingt nicht sehr spektakulär. Allerdings geht es hier ja um die weltweite Durchschnittstemperatur. Regional kann das also viel mehr als ein Grad werden. Wir gehen in den Alpen um einen mindestens doppelt so hohen Temperaturanstieg wie im globalen Mittel aus. Regional kann das auch noch viel stärker ausfallen. Am Blaueis in den Berchtesgadener Alpen beispielsweise ist der gegenwärtige Trend der Temperatur bei 0,3 Grad pro Jahr! Das entspricht zum Beispiel einer Verschiebung der Klimazonen um 100 Höhenmeter alle zwei Jahre.
Gerade diese regionalen Veränderungen sind ein Schwerpunkt der Klimaforschung am KIT – worum geht es hier genau?
Kunstmann: Die Folgen des Klimawandels wirken sich regional völlig unterschiedlich aus. In manchen Regionen wird es trockener, in anderen fallen aber mehr Niederschläge. Vielleicht bleibt es in den bayerischen Alpen – wie vor wenigen Jahren geschehen – fast einen ganzen Winter schneefrei, während Südtirol im Schnee versinkt. Nicht einmal für die Alpen ist eine Gesamtaussage möglich. Aber genau darin besteht die Herausforderung – und das ist auch das Besondere an der Klimaforschung am KIT: Wir brechen allgemeine Aussagen auf die Regionen herunter. Denn in den Regionen fallen auch die Entscheidungen zu Plänen und Maßnahmen zur Anpassung.
In Bonn geht es nun um das Ausarbeiten der „Regeln“ für das Paris-Abkommen. Im Moment hängt auch Deutschland hinter den eigenen Klimaschutzzielen hinterher – wo müssen wir mehr tun?
Kunstmann: Bis 2020 will Deutschland 40 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen – das werden wir nicht mehr erreichen. Was bislang fehlt, ist unter anderem der klare, verbindliche Auftrag, beispielsweise an Kommunen, Treibhausgase einzusparen. Schon heute gehen viele Kommunen entsprechende Projekte mit hohem, auch parteiübergreifendem Engagement, an. Das ist großartig. Aber: Bislang sind solche Aktivitäten freiwillig, die „Kür“ sozusagen. Klimaschutz gehört aber ins Pflichtprogramm.
Interview: Margarete Lehné